Nun sind die Papiere aus den Koalitionsverhandlungen öffentlich geworden und somit kann man eine erste Bewertung der Verhandlungen vornehmen. Dass eine Koalition aus CDU und SPD nicht gerade Mut und Zuversicht ausstrahlen, sondern eher eine Sammlung kleinster gemeinsamer Nenner sein würde, war eigentlich klar. (https://fragdenstaat.de/dokumente/258020-koalitionsverhandlungen-cdu-csu-spd-ag-11-laendliche-raeume-landwirtschaft-ernaehrung-und-umwelt/)
Aber das vorliegende Papier unterbiete meine Erwartungen deutlich. Fatal, dass an keiner Stelle auf die hervorragende Arbeit der Borchert-Kommission und vor allem der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) zurückgegriffen wird. Und das, obwohl beide Kommissionen von der damaligen schwarz-roten Bundesregierung unter Federführung von Frau Klöckner eingesetzt und hoch gelobt wurden. Insbesondere die ZKL hat Zukunftswege für die Landwirtschaft eröffnet, deren großer Vorteil darin besteht, dass sie von einem sehr breiten gesellschaftlichen Konsens der Landwirtschaft, den Umweltverbänden, dem Tierschutz, der Wissenschaft u.a. getragen wurde. Warum man sich nicht darauf verständigen kann, diese auf dem Tisch liegenden, umsetzbaren Handlungsvorschläge zu nutzen, bleibt für mich ein großes Rätsel. Denn der Rückgriff auf diese Beschlüsse wäre auch ein Signal an die Opposition gewesen, hier mitzugehen. Und so wird der dringend notwendige große Wurf auch in den kommenden vier Jahren vermutlich ausbleiben. Zwar gibt es in der Tierhaltung das Versprechen von langfristigem Bestandsschutz und Förderung des Stallbaus, aber die entscheidende Frage – die Finanzierung der höheren Haltungsstufen – bleibt offen. Dabei wäre es jetzt an der Zeit, die Ergebnisse der Borchert-Kommission ambitioniert aufzugreifen und sich zu einer Mehrwertsteuererhöhung für Fleisch zu entscheiden, um aus diesen Steuereinnahmen die Tierhaltung langfristig abzusichern. Aber das bleibt leider aus.
Statt sich den Anliegen des Tierschutzes und der Ernährungspolitik zuzuwenden, ignoriert man neuste Erkenntnisse zur Tierhaltung ebenso wie die Empfehlungen des Ernährungsrates.
Einzig erfreulich ist die Vereinbarung, das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz beizubehalten und auf die Außerhausverpflegung (AHV) auszudehnen. Das ist gut. Aber zugleich nicht ausreichend, denn die AHV bleibt ansonsten deutlich unterbelichtet. Gerade hier wäre ein Hebel, um den Ökolandbau und eine regionale Landwirtschaft und vor allem auch eine gesunde Ernährung für alle Bürger:innen nach vorne zu bringen. Zu befürchten ist hingegen, dass sich hier weitere vier Jahre nichts tun wird.
Insgesamt scheint echter Verbraucher:innenschutz keinen Eingang in das Papier gefunden zu haben. Ohne Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel gibt es keine ehrliche Wahlfreiheit.
Beim Düngerecht wird einseitig davon gesprochen, dass man Erleichterungen für die Landwirtschaft schaffen will. Kein Wort darüber, dass Deutschland sich wegen einer zu laxen Düngegesetzgebung seit Jahren im Visier der EU befindet und diese weiterhin sehr kritisch hinschauen wird, was wir hier machen. Oberstes Ziel müssen saubere, unbelastete bzw. gering belastete Gewässer und Grundwasserkörper sein. Warum steht das nicht in der Vereinbarung, sondern stattdessen nur, dass man Betriebe in Roten Gebieten von Auflagen befreien möchte?
Angesichts der weiterhin großen Probleme mit der Artenvielfalt und der Tatsache, dass hier Pestizide – oder: „Pflanzenschutzmittel“ – eine entscheidende Rolle spielen, erstaunt, dass man Zulassungsverfahren vereinfachen will. Da hat die seit Jahren vorgetragene Lüge von den immer weniger werdenden Mitteln und Wirkstoffen anscheinend ihre Wirkung getan.
Was alles fehlt? Es fehlt an einer über ein Lippenbekenntnis zum Ländlichen Raum hinausgehende Aussage, wie vitale, lebende Dörfer und Regionen erhalten werden sollen? Wo sind die Aussagen zu regionaler Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung? Wo finden sich konkrete Aussagen, wie die Landwirtschaft in benachteiligten Räumen gehalten werden soll und wie insbesondere kleinere Betriebe besser unterstützt werden können. Wo wird der dringend nötige Ausbau des Ökolandbaus konkret angesprochen? Wie kommen wir im Bereich Tierschutz bei der Nutztierhaltung weiter? Das Wort „Nebenerwerbslandwirtschaft“ sucht man vergebens, obwohl über die Hälfte alle Betriebe genau solche Betriebe sind. Auch die Vereinbarungen zur Junglandwirteförderung sind dehnbar und dadurch nichtssagend. Hier muss es darum gehen, benachteiligte Jungbäuerinnen und -bauern Mut zu machen und diesen den Weg in die Landwirtschaft zu erleichtern. Es kann hier nicht darum gehen, weiterhin per Gießkanne zusätzliches Geld über die Hektare von Jungbauern zu verteilen.
Mein Fazit: So wird das nichts mit einer modernen, vielfältigen Landwirtschaft, die mehr ist als ein Rohstofflieferant der großen Schlachthöfe, Molkereien und weiterer Verarbeiter, die ihre Produkte global absetzen wollen.
Es könnten vier vertane Jahre werden!