Meine Rede beim Tierärztetag 2024

Sehr geehrter Herr StS Dr. Berges, lieber Martin,

sehr geehrte Damen und Herren,

zunächst herzlichen Dank dafür, an diesem Tierärztetag West teilnehmen zu dürfen.

Ich habe mir das gesamte Programm vorab angeschaut und hatte eigentlich auch vor, gestern mir den ein oder anderen Vortrag anzuhören. Insbesondere die Fragestellung, wie die jüngere Generation Tierärzte ihre Zukunftsperspektiven mit Blick auf die Nutztierhaltung sieht, hätte mich sehr interessiert. Leider hat die gestrige Sondersitzung des Landtags das unmöglich gemacht, ich würde mich aber freuen, hierüber nochmal mit Ihnen in den Austausch zu kommen.

Die Fragestellung für dieses Podium ist nicht weniger spannend:

„Tierisch gesunde Lebensmittel in der Zukunft, ein Auslaufmodell in Deutschland?“

Um es vorab zu sagen: ich glaube nicht, dass es sich um ein Auslaufmodell handelt.

Was ich aber glaube: es wird auch in den kommenden Jahren erhebliche Veränderungen geben und nicht immer ist die Politik schuld daran.

Der wesentliche Treiber sind aus meiner Sicht die Nachfrage nach Fleisch und ganz besonders die demografische Entwicklung.

Wir wissen, dass in den kommenden Jahren besonders viele Höfe übergeben oder eben auch aufgegeben werden. Die Babyboomer der frühen 60er Jahre gehen allmählich in Rente und während früher eine Hofübernahme – sei es im Haupterwerb oder auch im Nebenerwerb – eine Selbstverständlichkeit war, ist das heute nicht mehr der Fall.

Als die Babyboomer sich entscheiden mussten, welchen Weg sie einschlagen, war es normal, dass sich auf eine Lehrstelle 70 oder 100 Bewerbungen kamen.

Damals – in den 80ern – wurden Arbeitnehmer mit Mitte 50 vorzeitig in den Ruhestand geschickt, um etwas Platz für die Jungen zu schaffen. Die Situation heute ist eine ganz andere: niemand ist mehr darauf angewiesen, einen Hof zu übernehmen und die außerlandwirtschaftlichen Einkommen sind in der Regel deutlich attraktiver als in der Landwirtschaft.

Gleichzeitig sind gerade in den Veredlungsregionen die Pachtpreise dermaßen hoch, dass viele Hofnachfolger mehr Geld ohne Arbeit nach der Hofaufgabe verdienen können als ihre Väter mit viel Arbeit es als aktive Landwirte geschafft haben.

Dazu kommen dann die Entwicklungen auf den Märkten. Die Euphorie der 2010er Jahre ist schon lange Geschichte. Die Aussage des größten Schlachthofes in NRW war damals: „Ihr baut die Ställe und ich garantiere Euch den Absatz“ Genau das hat diesen Stallbauboom massiv befördert.

Was fehlte, war allerdings eine Aussage, dass man zwar die Abnahme, aber nicht immer einen kostendeckenden Preis garantieren könne. Diese Welle der Euphorie und der nachfolgenden Ernüchterung prägt bis heute die Landwirtschaft und ist Teil der Erklärung, warum so viele Betriebe aussteigen.

Natürlich hat das auch mit Politik und Gesellschaft zu tun. Die Gesellschaft ist im Wandel. Und das wichtigste Fundament der nordwestdeutschen Landwirtschaft – die Schweinemast – bröckelt dadurch erheblich. Der Rückgang im Schweinefleischkonsum von 50 auf 40 kg innerhalb weniger Jahre ist die Folge von muslimischer Zuwanderung und gleichzeitig wachsendem Anteil von Vegetariern, Flexitarier und Veganern in der Gesellschaft.

Gleichzeitig steht auch die Landwirtschaft vor großen Herausforderungen gerade im Bereich der Tierhaltung. Der Klimawandel, die Überlastung von Böden und Gewässern vor allem mit Stickstoff, das Artensterben und auch die zunehmende Gefahr der Krankheitsübertragung zwischen Tier und Mensch erfordern Antworten. Und zwar weltweit.

In Europa und hier insbesondere auch in Deutschland kommt der Aspekt der Akzeptanz der Tierhaltung hinzu. Meines Erachtens lohnt sich diese Debatte. Denn ohne sie hätten wir nicht hinterfragt, ob sich der Antibiotikaeinsatz reduzieren lässt, hätten wir nicht hinterfragt, ob es richtig ist, Kälber ohne Betäubung zu enthornen oder Ferkel zu kastrieren?

Und wir würden auch nicht darüber diskutieren, ob man Rinder noch in der Anbindung halten soll und wieviel Quadratzentimeter ein Schwein oder eine Henne braucht, um halbwegs gut zu leben?

Ich glaube, in keinem Land wurde so intensiv über die Zukunft der Tierhaltung diskutiert. Und an dieser entscheidenden Stelle ist die Politik auch massiv in der Verantwortung. Wenn das Gutachten des Beirates für Agrarpolitik zur Zukunft der Tierhaltung breite Zustimmung findet, wenn die Ergebnisse der Zukunftskommission Landwirtschaft von einer breiten politischen Mehrheit für richtig und wegweisend gehalten werden, dann ist Politik auch in der Pflicht, die notwendigen finanziellen Mittel für die Umsetzung dieser Vorschläge bereitzustellen.

Ich war von Anfang an ein Verfechter der Mehrwertsteuerlösung und ich plädiere auch weiterhin dafür, durch eine Anpassung an den normalen Steuersatz die Gelder für den Umbau der Tierhaltung verfügbar zu machen.

Ein ganz wichtiger Baustein für eine gute Tierhaltung ist aber die Frage, ob auch in Zukunft genügend Menschen bereit sind, diese Tiere zu betreuen? Und neben den Bäuerinnen und Bauern, die es dafür braucht, wird eine entscheidende Frage sein, ob es auch noch in zehn oder zwanzig Jahren genügend Tierärzte gibt, die die Bestände betreuen?

Schon seit langem wissen wir, dass wir hier – wie in vielen anderen Berufen – in eine Mangelsituation hineinlaufen.  Ich würde es daher für richtig halten, wenn Nordrhein-Westfalen die Ausbildung von Tierärzten selbst in die Hand nehmen würde. Mehr Studienplätze erscheinen mir die logische Konsequenz daraus, dass die nächste Generation ein anderes Verständnis von Arbeit hat und viel seltener Vollzeit – und ich nenne es jetzt mal: Überzeit – arbeiten will als die Generation Tierärzte, die jetzt so allmählich aus dem Berufsleben herausgeht.

Wenn das Land NRW dementsprechend einen Studiengang aufbauen würde, dann wäre es allerdings wichtig, dabei dann auch einen wesentlichen Schwerpunkt darauf zu legen, den Mangel im Bereich der Nutztierhaltung abzudecken.

Um noch einmal auf die Frage „Auslaufmodell – ja oder nein?“ zurückzukommen:

Ein großes Problem auch in diesem Bereich ist es, dass im Rahmen der Globalisierung zwar die Zölle gestrichen wurden, es aber leider keine halbwegs gleichen und vor allem auch verbindlichen Standards im Tier- und Umweltschutz gibt. Daraus folgt z.B. dass die deutsche Produktion immer wieder mit in Konkurrenz steht mit Produzenten, die zu wesentlich niedrigeren Standards produzieren.

Die Zukunft gesunder tierischer Lebensmittel aus Deutschland kann aber nicht in einer Reduzierung unserer höheren Haltungsstandards liegen. Die Zukunft liegt darin, ein klar definierte, hohe Qualität nach vorne zu stellen und diese Qualität auch entsprechend zu bewerben. Dafür braucht es eine klare Kennzeichnung der Haltung am Produkt. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat hier vorgelegt und ich hoffe, dass wir das endlich insgesamt in Deutschland und auch hier in NRW umgesetzt bekommen.

Meiner Meinung nach hat die niedersächsische Landesregierung vorgemacht, wie man das schnell umsetzen kann und ich bin mir sicher, wir in NRW können das auch.

„Made in Germany“ als Synonym für gute Tierhaltung – das, meine Damen und Herren, wäre meine Zielvorstellung und um das zu erreichen, dafür braucht die Landwirtschaft Ihre Unterstützung und Mitarbeit.