„NRW isst besser!“: Ernährungsstudie der GRÜNEN Landtagsfraktion NRW

Die Studie „NRW isst besser! – Wegweiser zu einem nachhaltigeren Ernährungssystem in NRW“ betrachtet die vorhanden Strukturen der Ernährungsumgebung sowie Ernährungsbildung in NRW und identifiziert Defizite sowie politische Handlungspotenziale. Sie wurde von der Grünen Landtagsfraktion in Auftrag gegeben, um aufzuzeigen, wie das Ernährungssystem in NRW so umgestaltet werden kann, dass allen Menschen eine gesunde und nachhaltige Ernährung ermöglicht wird. Erstellt wurde die Studie unter Leitung von Prof. Dr. Guido Ritter, Professor an der FH Münster im Fachbereich Oecotrophologie sowie Vorstandsmitglied im Institut für Nachhaltige Ernährung (iSuN).

Auf Basis der Ergebnisse der Studie und der Ernährungstagung am 20.11.2021 wird die Grüne Landtagsfraktion ein Maßnahmenpaket zur sozialen und ökologischen Umgestaltung des Ernährungssystems in NRW entwickeln.

Motivation und Hintergrund der Studie:

Seit Jahren verändern sich unsere Ernährungsgewohnheiten. Der klassische Mittagstisch der Familie hat längst ausgedient. Vom Kindergartenkind bis zur Senior*in: Immer häufiger essen wir unterwegs oder in Kantinen und Mensen. Gute Ernährung ist immer noch zu oft eine Frage des Geldbeutels sowie von individuell vorhandenen Kompetenzen und Wissen. Dabei kann eine dauerhafte Fehlernährung massive gesundheitliche Risiken nach sich ziehen. Was zuhause, in der Schulmensa oder Kantine auf den Tisch kommt, hat zudem große Auswirkungen auf die Umwelt, Landwirtschaft und das Klima. Eine gute und nachhaltige Ernährung für alle ist damit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Vor diesem Hintergrund reicht es nicht aus, allein auf Aufklärung und individuelle Verhaltensänderung zu setzen. Eine Änderung der Rahmenbedingungen ist notwendig! Eine nachhaltige Ernährungspolitik ist ein großer Hebel, um soziale und ökologische Probleme anzugehen. In Nordrhein-Westfalen fehlt es jedoch an einem solchen ganzheitlichen Ansatz. Dabei existieren mit Vorreiter-Projekten und vorhandenen zivilgesellschaftlichen Strukturen viele Ansatzpunkte, die es gilt zusammenzuführen.

Ergebnisse der Studie zur Ernährungssituation in NRW:

Grundlage waren qualitative Interviews und bereits vorliegende Daten, die zusammengefasst bzw. mit dem Fokus der Studie ausgewertet wurden.

  • Nur in ca. 30 Prozent der Kitas und in 14 Prozent der Schulen wird frisch vor Ort gekocht
  • Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) werden i. d. R. unterschritten: v. a. Fleisch und Wurstwaren werden zu häufig angeboten
  • In Kantinen der Landesbehörden und Senioreneinrichtungen ist die direkte Verarbeitung frischer Lebensmittel stärker verbreitet. Auch hier werden jedoch oft Mindeststandards der DGE unterschritten und zu wenig pflanzliche Lebensmittel wie Gemüse und Obst im Speiseplan angeboten
  • Für Beschaffung und Ausschreibung fehlen bislang häufig konkrete Nachhaltigkeitskriterien, z. B. zur Verwendung saisonaler und regionaler Produkte. Zudem bereitet die Umsetzung bereits bestehender Nachhaltigkeitskriterien dem Personal in Küche und Beschaffung oft Schwierigkeiten
  • Ernährungsbildung findet in Kitas und Schulen nur punktuell statt, hängt oft vom persönlichen Engagement der Pädagog*innen ab und basiert z. T. auf unzureichendem Alltagswissen
  • Es fehlt Fachpersonal für Verpflegung und Ernährungsbildung, auch durch die mangelnde Verankerung in der Lehrer*innen- bzw. Erzieher*innenausbildung
  • In der Ausbildung im Ernährungshandwerk wie z. B. Köch*innen fehlt Nachhaltigkeit als Thema im Lehrplan (z. B. Beschaffungsquote für regionale und saisonale Lebensmittel)
  • Viele ernährungspolitische Initiativen sind in NRW aktiv (z.B. Ernährungsräte), haben sich jedoch z. T. noch nicht dauerhaft etabliert, auch aus Mangel an Förderung und Unterstützung
  • In NRW gibt es Leuchtturmprojekte, die es zum Standard zu machen gilt (z. B. die Initiative Schüler*innen kochen für Schüler*innen oder Kantinen mit 60 Prozent Bioanteil)

Die Studienautor*innen empfehlen eine systematische Neuausrichtung des Politikfeldes Ernährung und leiten daraus elf Handlungsempfehlungen ab.

Handlungsempfehlungen:

  1. Erstellung einer NRW-Ernährungsstrategie
  • Entwicklung einer landespolitischen Strategie als Teil der Nachhaltigkeitsstrategie NRW unter Einbindung der Politikfelder Umwelt und Klimaschutz, Gesundheit, Landwirtschaft, Verbraucherschutz, Bildung und Wirtschaft sowie unter Partizipation zivilgesellschaftlicher Gruppen
  1. Kommunale und regionale Strukturen aufbauen und weiterentwickeln
  • Beratung von Kitas, Schulen und andere Kantinen sowie Initiativen durch „Kommunale Ernährungsscouts“
  • Aufbau von regionalen Kompetenzzentren zur Bündelung von Wissen zu Ernährung und Verpflegung. Hierbei sollen Netzwerke betreut und ausgebaut, Weiterbildungen und Beratungen – z. B. zur Beschaffung – angeboten und Unterstützung bei Förderanträgen geleistet werden
  • Aufbau von Wertschöpfungszentren, um regionale landwirtschaftliche Produkte z. B. für die Bedarfe der Gemeinschaftsverpflegung weiterzuverarbeiten und zu vermarkten. Der Aufbau dieser Strukturen erfolgt in Zusammenarbeit mit bereits vorhandenen Unternehmen und Initiativen
  1. Zivilgesellschaftliches Engagement stärken
  • Begleitung, Beratung sowie unkomplizierte Projektförderung für zivilgesellschaftliche Initiativen im Ernährungsbereich. Förderung von Austausch und Netzwerk durch das Land NRW
  1. Öffentliche Beschaffung nachhaltig aufstellen
  • DGE-Qualitätsstandards für Kitas und Schulen sowie Nachhaltigkeitskriterien als Mindeststandards etablieren
  • Fortbildungen zum Themenfeld nachhaltige Beschaffung durchführen
  • Kantinenrichtlinie NRW in Richtung Nachhaltigkeit schärfen, um Vorbildfunktion öffentlicher Einrichtungen zu stärken
  1. „Neue Wertschätzung für Lebensmittel“ fördern
  • Runder Tisch „Neue Wertschätzung für Lebensmittel“ reaktivieren
  • Nationale Strategie zur Lebensmittelabfallvermeidung konsequent umzusetzen
  1. und 7. Ein ganzheitliches Konzept für Betreuung, Verpflegung und Bildung in Kitas und Schulen
  • Kostenlose gesunde und nachhaltige Verpflegung in allen Kitas und Schulen anbieten
  • Schulen und Kitas so breit wie möglich mit Küchen zur Selbstversorgung sowie mit Schulgärten ausstatten, um Ernährungsbildung auch in der Praxis zu ermöglichen
  • Systematische Integration von Ernährungswissen und -kompetenzen in den Lehrplänen der pädagogischen Mitarbeiter*innen
  1. Stärkung der Studierendenwerke
  • Studierendenwerke als Beispiel guter Praxis fördern. Diese beachten bereits jetzt häufig Nachhaltigkeitsaspekte und arbeiten in Einkaufskooperationen zusammen
  1. Öffentliche Kantinen bei der Entwicklung hin zu nachhaltigem Wirtschaften unterstützen
  • Modernisierung der Infrastruktur von Kantinen, z. B. energieeffiziente Geräte
  • Regelmäßige Schulungen für Akteur*innen der Gemeinschaftsverpflegung
  • Auszeichnung von Leuchtturmprojekten und Beispielen guter Praxis
  1. Beratung für Kantinen in Unternehmen und Care-Einrichtungen
  • Entwicklung und Fortführung von Beratungsangeboten zur Förderung gesunder und nachhaltiger Verpflegung in privatrechtlichen Betriebskantinen
  1. Nachhaltigkeit in der fachlichen beruflichen Aus- und Weiterbildung
  • Anpassung der Rahmenlehrpläne für Ausbildungen im Berufsfeld „Ernährung und Hauswirtschaft“, Fortbildung des Personals, Stärkung der Kompetenz der Berufsschullehrer*innen
  • Auszeichnungen für nachhaltige, handwerkliche Lebensmittelverarbeitung weiterentwickeln und die Vorbildfunktion von Ausbildungsbetrieben stärken

Die Kurzfassung der Studie „NRW isst besser!“

Die Langfassung der Studie „NRW isst besser!“