Auf manch eine Debatte in der Sommerzeit könnte man auch verzichten – doch diese ist längst überfällig! Denn die Frage, ob der reduzierte Mehrwertsteuersatz für Fleisch überhaupt noch zeitgemäß ist, wird genau zur richtigen Zeit aufgeworfen. Eine Nachjustierung der Mehrwertsteuersätze wäre gut für den Tierschutz und auch ein wichtiges Signal, dass wir endlich klimapolitisch zu handeln bereit sind.
Seit vielen Jahren diskutieren Wissenschaft, Politik und Gesellschaft über die Folgen des Klimawandels und über die notwendigen Maßnahmen, doch noch eine Begrenzung des Temperaturanstiegs zu erreichen. Genauso lange diskutieren wir auch schon darüber, wie zukunftsfähig unsere Landwirtschaft in der jetzigen Form eigentlich ist, welchen Anteil sie am Klimawandel hat und welche Veränderungen insbesondere in der Tierhaltung kommen müssen, damit sie wieder in der Breite der Gesellschaft akzeptiert ist.
Nun erleben wir gerade den zweiten Dürresommer in Folge mit erheblichen Konsequenzen für unsere Natur und auch für die Landwirtschaft. Die Klimaveränderungen schreiten in einer Geschwindigkeit und Intensität voran, wie man es vor wenigen Jahren nicht für möglich gehalten hat. Kaum jemand bestreitet noch, dass es sich hierbei um langfristige klimatische Veränderungen handelt.
Auch der neueste IPCC-Bericht benennt in diesen Tagen erneut die Landwirtschaft als einen der wesentlichen Faktoren für den Klimawandel. Insbesondere die intensive Tierhaltung und der große Fleischkonsum werden hier als entscheidendes globales Problem identifiziert.
Es braucht also ein Umsteuern hin zu einem nachhaltigeren Fleischkonsum und einer regional angepassten Tierhaltung. Der massenhafte Import von Einweißfutter – insbesondere von Soja -, die Überproduktion an Gülle sowie die Intensivhaltung der Tiere auf geringer Fläche laufen allen nachhaltigen Kriterien zuwider. Und auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik über die Tierhaltung in Deutschland hat schon im Jahr 2015 belegt, dass diese Form der Tierhaltung nicht zukunftsfähig ist. Seitdem sind vier Jahre vergangen, ohne dass wir entscheidende Schritte vorangekommen wären. Klar benannt wurde von den Agrarprofessoren seinerzeit ein erheblicher Unterstützungsbedarf für die Landwirtschaft beim Umbau der Tierhaltung durch staatliche Mittel, weil die Konsument*innen die Mehrkosten einer deutlich verbesserten Haltung nicht alleine über den Fleischpreis zu zahlen bereit sind. Stattdessen würde sonst in einem erheblichen Maß am Markt eine Substitution deutscher Ware durch weiterhin billig in Intensivhaltung erzeugtes Importfleisch erfolgen.
Nimmt man diese beiden Punkte – Klimaschutz und Umbau der Tierhaltung – zusammen und wirft dann noch einen Blick auf die verwirrenden Mehrwertsteuersätze im Bereich der Lebensmittel, so ist die aktuell vorgeschlagene Lösung geradezu zwingend. Die ohnehin unlogische Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes von Fleisch wird – eventuell schrittweise – auf den normalen Steuersatz angehoben. Die dadurch zusätzlich generierten Steuermittel werden direkt genutzt, um den Umbau der Tierhaltung entsprechend dem WBA-Gutachten mitzufinanzieren. Das hat mehrere, entscheidende Vorteile:
1. Das Verursacherprinzip festschreiben: Die Umbaumittel würden von denjenigen bezahlt, die auch Fleisch und Fleischprodukte konsumieren. Der immer wieder vorgebrachte Einwand, warum denn Veganer*innen, Vegetarier*innen und Menschen, die nur sehr wenig Fleisch essen, den Umbau der Intensivtierhaltung mitfinanzieren sollen, würde damit weitestgehend entkräftet.
2. Nicht länger auf die EU warten: Der alternative Vorschlag, den Umbau der Tierhaltung über die europäischen Agrargelder zu finanzieren, ist wenig realistisch. Mit etwa 5,2 Mrd. Euro würde die Mehrwertsteueranpassung einen Betrag zum Umbau der Tierhaltung aufbringen, für den man sämtliche EU-Agrarprämien vom Acker in die Tierhaltung umlenken müsste. Ein solches, massives Umwidmen der Agrargelder ist jedoch keine echte Option. Zu groß sind die ökologischen Herausforderungen in der Landnutzung – für die die Gelder ebenfalls benötigt werden – und zu unterschiedlich sind auch die Interessen der europäischen Mitgliedsstaaten, als dass diese Variante wirklich zur Verfügung stehen würde.
3. Umbau der Tierhaltung zeitnah möglich: Die Mittel aus der Mehrwertsteueranpassung stünden relativ rasch und unabhängig von der Europäischen Agrarförderung zur Verfügung. Während die Förderung von Stallbauten über das normale AKP-Programm ganz überwiegend von großen Betrieben in Anspruch genommen wird, bestünde jetzt die einmalige Chance, ein unbürokratisches Umbauprogramm für Stallneubauten und Stallumbauten aufzulegen, das für alle Betriebe attraktiv ist. Damit besteht hier eine große Chance, gerade die von allen immer wieder geforderte Unterstützung bäuerlicher Betriebe mit einer echten Breitenwirkung umzusetzen.
4. Effektive Klimawirkung möglich: Nach neusten Berechnungen des Thünen-Instituts würde eine Mehrwertsteueranpassung einen höheren Effekt für den Klimaschutz bringen als die Einführung der viel diskutierten CO2-Verbrauchssteuer. Anstatt noch jahrelang über dieses Instrument und über mögliche verfassungsrechtliche Probleme zu diskutieren, wäre über die Änderung der Mehrwertsteuer eine schnelle und sehr effektive Möglichkeit gegeben, den Klimaschutz voranzubringen. Und gleichzeitig würde dies dazu führen, dass der Gülleanfall reduziert und damit auch das Nitratproblem in Deutschland verringert würde.
5. Mehrwertsteuersätze reformieren: Und schließlich könnte die Anpassung des Mehrwertsteuersatzes für Fleisch auch eine Initialzündung dafür sein, endlich das gesamte Konstrukt der unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze anzupacken und zu vereinfachen sowie gerechter zu gestalten. Der Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent solte allenfalls noch den Grundnahrungsmitteln vorbehalten bleiben, wie beispielsweise Brot, Kartoffeln oder Nudeln. Denn niemandem ist zu erklären, warum Fleisch mit 7 Prozent Mehrwertsteuer belegt ist, Babynahrung und Orangensaft aber mit 19 Prozent. Und wer den Fleischkonsum mit der sozialen Frage verknüpft, der müsste konsequenterweise für eine Absenkung der Steuersätze z.B. für Obstsäfte einsetzen, um allen Verbraucher*innen eine ausgewogene Ernährung zu ermöglichen. Doch angesichts der gerade noch zehn Prozent, die wir im Durchschnitt für Lebensmittel ausgeben, ist die Frage der Bezahlbarkeit am Ende eher eine von anderen Faktoren abhängig. Hier schließen sich die sozialpolitischen Fragen nach einer gerechte Entlohnung in bestimmten Wirtschaftszweigen sowie von angemessenen Hilfesätzen in der Sozialhilfe an.