Bienen, Schmetterlinge und Co: Die Zahl der Insekten ist drastisch zurückgegangen. Viele Studien deuten darauf hin, dass der Pestizideinsatz in der intensiven Landwirtschaft eine bedeutende Rolle dabei spielt. Pestizide greifen massiv in die Natur ein, finden sich als Rückstände in Lebensmitteln und verunreinigen unsere Gewässer. Wir haben deswegen den Pestizidexperten Lars Neumeister beauftragt, den Pestizideinsatz in NRW zu untersuchen. Die Ergebnisse liegen nun vor und machen deutlich: Wir brauchen eine effektive Pestizidreduktionsstrategie.
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Eine Studie hat ergeben, dass es innerhalb von 27 Jahren bei den Fluginsekten einen Rückgang von 75 Prozent an Biomasse gab. Die Verwendung von Pestiziden in der intensiven Landwirtschaft belastet Tier- und Pflanzenvielfalt und gehört zu den treibenden Kräften für dieses dramatische Insektensterben. Da Insekten die Nahrungsgrundlage beispielsweise für Vögel und Amphibien sind, stellt ihr Verschwinden eine Bedrohung für die Biodiversität und unsere Ökosysteme dar. Darüber hinaus belasten Pestizide unser Grundwasser und Nahrungsmittel. Etwa 90 Prozent des Obstes und Gemüses aus konventioneller Produktion sind mit Pestizidrückständen belastet. So gelangen die Ackergifte bis in unseren Körper.
Bislang lagen kaum belastbare Daten zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft auf Betriebs- oder regionaler Ebene vor. Bekannt waren lediglich die deutschlandweiten Absatzzahlen der Pestizidmengen, weil für Hersteller eine Meldepflicht gilt. Genaue Werte auf Landesebene fehlen dagegen. Zwar muss jeder Betriebsinhaber den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln dokumentieren, eine statistische Auswertung der Daten fand jedoch nicht statt. Wer solche Daten trotzdem herausbekommen will, muss daher einen anderen Weg gehen.
Der Pestizidbericht und seine Methodik
Der Pestizidexperte Lars Neumeister hat in unserem Auftrag den Pestizideinsatz in NRW untersucht. Dabei hat er auf die Daten des beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft angesiedelten Julius-Kühn-Instituts (JKI) zurückgegriffen. Das JKI erhebt seit dem Jahr 2011 jährlich bundesweit kulturspezifische Daten zum Einsatz von Pestiziden. Dabei werden mit Winterweizen, Wintergerste, Winterroggen, Mais, Kartoffeln und Zuckerrüben auch die wichtigsten Kulturpflanzen in Nordrhein-Westfalen untersucht. Tafeläpfel, Wein und Hopfen werden in Nordrhein-Westfalen gar nicht oder nur in sehr geringem Umfang angebaut. Deswegen sind sie zu trotz der dort hohen Intensität beim Pestizideinsatz für die Betrachtung NRWs zu vernachlässigen.
Das JKI wählt pro Kultur etwa 100 Testbetriebe aus, die sich regional so verteilen, dass die Anbaufläche eines Bundeslandes sich in der Anzahl der Testbetriebe widerspiegelt. Das heißt: Macht die Wintergerstenfläche eines Bundeslandes 20 Prozent der deutschen Anbaufläche aus, werden 20 der 100 Testbetriebe in diesem Bundesland verortet.
Die Testbetriebsdaten des JKI liegen allerdings nur auf Bundesebene vor. Lars Neumeister hat für den NRW-Pestizidbericht diese bundesweiten Zahlen auf Nordrhein-Westfalen heruntergebrochen. Hierdurch ergibt sich zwar eine gewisse Unschärfe. Da allerdings die Kulturen deutschlandweit sehr ähnlich angebaut werden, ist davon auszugehen, dass der Bericht einen realitätsnahen Eindruck davon liefert, welche Pestizid-Gesamtmengen in der Landwirtschaft Nordrhein-Westfalens verwendet werden. Mittelfristig braucht NRW eine präzise Datenbasis, welche Pestizide und Wirkstoffe eingesetzt werden und welche Veränderungen es in ihrer Verwendung gibt.
2.100 Tonnen Pestizide landen auf den Äckern in NRW
Neumeisters Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2017 rund 2.100 Tonnen Pestizide auf die Äcker in NRW aufgebracht wurden. Das sind etwa 9 Prozent der deutschlandweit eingesetzten Pflanzenschutzmittel. Davon entfielen 57,9 Prozent auf Herbizide, 31,9 Prozent auf Fungizide, 9,2 Prozent auf Wachstumsregler und 0,9 Prozent auf Insektizide. Durchschnittlich bringen Landwirt*innen neunmal im Jahr Pflanzenschutzmittel aus. Bei besonders intensiven Kulturen wie Kartoffeln oder Äpfeln auch öfter. Diese Intensität ist auch deshalb problematisch, weil immer giftigere Stoffe eingesetzt werden.
Im Bericht werden vier spezifische und bereits erprobte Möglichkeiten zur Pestizidreduktion vorgestellt. Im Modell „KraichgauKorn®“ werden beispielsweise beim Weizenanbau – von der Vorfrucht bis zur Ernte – keine Pestizide eingesetzt. So ließe sich der Pestizideinsatz im NRW-Weizenanbau um 30 Prozent reduzieren.
Der Pestizideinsatz in NRW muss reduziert werden
Der Bericht macht deutlich, dass zu viele Pestizide aufgebracht werden. Die Anwendungen erfolgen fast immer routinemäßig, um einen maximalen Ertrag abzusichern. Solange Pestizide so ungezielt eingesetzt werden, ist eine Reduktion quasi unmöglich.So stagniert der Pestizideinsatz seit Jahren auf einem sehr hohem Niveau. Der Zustand unserer Natur macht ein Umsteuern dringend erforderlich. Wenn wir weiter machen wie bisher, lässt sich der Verlust der Artenvielfalt nicht aufhalten.
Deswegen fordern wir GRÜNE ein Pestizidreduktionsprogramm für NRW mit festen Reduktionszielen von minus 25 Prozent in fünf Jahren und einer Halbierung in zehn Jahren. NRW muss das Einsatzverbot von Neonicotinoiden und ähnlich bienengefährdender Wirkstoffe in der Landwirtschaft endlich konsequent umsetzen. Dass CDU und FDP trotz EU-Verbot Neonicotinoide im Rübenanbau über eine Notfallzulassung wieder auf die Felder bringen wollen, ist fatal. Wir fordern von der Landesregierung die Natur zu schützen, statt sich für Ausnahme- oder Sondergenehmigungen solcher nachgewiesenermaßen gefährlichen Stoffe einzusetzen.
Eine Pestizidabgabe für den Erhalt der Artenvielfalt
Auch die Einführung einer Abgabe auf Pestizide und die bessere Förderung von Forschung und Entwicklung für eine pestizidarme Landwirtschaft wollen wir diskutieren. Die Einnahmen aus einer Pestizidabgabe könnten zweckgebunden für Wasserreinhaltung und den Erhalt der Artenvielfalt eingesetzt werden. Sie kämen über Förderprogramme wiederum einer naturnahen Landwirtschaft zugute und würden eine Finanzierung der Aufbereitungskosten nach dem Verursacherprinzip ermöglichen.
Außerdem halten wir ein gesetzliches Einsatzverbot für Pestizide in Natur- und Trinkwasserschutzgebieten, Gewässerrandstreifen, ökologisch sensiblen Bereichen und deren Pufferflächen, Vogelschutz- und FFH-Flächen-Gebieten und auf artenreichem Grünland für notwendig.