Dass sich der WLV Sorgen um seine Betriebe macht, ist angesichts der extremen Gewinneinbrüche verständlich. Insbesondere die Verärgerung über den Einzelhandel ist nachvollziehbar. Der Ehrlichkeit halber sollte man allerdings hinzufügen, dass auch der Bauernverband eine erhebliche Mitverantwortung für diese Krise hat. Sämtliche Warnungen vor den Schwierigkeiten der globalen Agrarmärkte wurden in den Wind geschlagen. Statt sich auf die verlässlichen heimischen Märkte zu konzentrieren, wurde der Weltmarkt ins Visier genommen. Gleichzeitig wurde ein einzelbetriebliches Wachstum angeheizt, das es so noch nie gab. Zielmarken wurden 200 Kühe, 600 Sauen oder 5000 Schweinemastplätze. Statt bäuerlicher Landwirtschaft hieß es nur noch: schneller, größer, weiter. Diese Größenordnungen sind es aber, die die Gesellschaft in Frage stellt – und mal ehrlich, wer wollte schon selber neben so einer Fleischfabrik wohnen? Dieses extreme einzelbetriebliche Wachstum ist es auch, das zu den Milch- und Fleischüberschüssen sowie den schlechten Preisen geführt hat und das die kleinen Bauernhöfe kaputtkonkurriert.
Dass der WLV vor diesem Hintergrund jetzt erneut nur über Gesellschaft und die Politik lamentiert, ist mehr als ärgerlich. Die Verharmlosung der Nitratmesswerte ist es ebenfalls. Schließlich geht es um unserer wichtigstes Lebensmittel und die Landwirtschaft hat ihre Versprechen der Vergangenheit nicht eingelöst. Die Messreihen zeigen nämlich eine jahrzehntelange Stagnation auf sehr hohem Niveau. Dabei bildet das Münsterland neben dem westlichen Niedersachsen den deutschlandweiten Hotspot viel zu hoher Nitrateinträge. Hier werden bei dem gesundheitlich sehr problematischen Nitrat regelmäßig der Grenzwert von 50 mg nicht eingehalten, vom eigentlich erwünschten EU-Zielwert 25 mg Nitrat mal ganz zu schweigen. Die Wasserwirtschaft fordert deshalb seit Jahren, dass die Einträge von Nitrat und Pestiziden in die Gewässer erheblich abnehmen müssen. Passiert ist bislang allerdings eher wenig, auch auf Grund der „guten“ Lobbyarbeit des Bauernverbandes.
Es stünde dem Bauernverband vor diesem Hintergrund sehr gut an, etwas selbstkritischer die Entwicklung der Landwirtschaft in den letzten zwei Jahrzehnten zu reflektieren. Anstatt immer nur diejenigen zu kritisieren, die berechtigte Fragen an die Landwirtschaft stellen, wäre es besser, sich mit deren Argumenten auseinanderzusetzen. Denn die Probleme wie die Nitratauswaschungen sind teilweise seit 30 Jahren bekannt und genauso lange verhindert der Bauernverband effektive Lösungen. Aber Lösungen kann nur der finden, der nicht nur nach den Splittern im Auge der anderen, sondern auch nach eigenen Fehlern sucht.
Dieser Artikel erschien am 27.12.2015 als Leserbrief in den Westfälischen Nachrichten. Er ist eine Reaktion auf den Artikel : „Landwirte mit Zukunftssorgen – Dramatik und jede Menge Frust“, WN, 21.12.2015
http://www.wn.de/Muensterland/Kreis-Steinfurt/Steinfurt/2213609-Landwirte-mit-Zukunftssorgen-Dramatik-und-jede-Menge-Frust