Immer wieder stößt man in Diskussionen auf die interessante Frage, ob den die Milchviehhaltung etwas Besonderes sei und ob den Milchbäuerinnen und Milchbauern besonders unterstützt werden müssten. Um zu verstehen, warum Milchviehhalter nicht kurzfristig auf den Markt reagieren (langfristig tun sie es durch die Aufgabe der Milcherzeugung), ist es notwendig, sich die Situation eines Milchviehbetriebes vor Augen zu halten. Was unterscheidet die Lage von Milchviehhaltern von anderen Bauern?
Sie erzeugen ein Produkt, das eine sehr lange Vorlaufzeit hat. Sprich: der Landwirt hält Kälber und Rinder, die erst einmal über zwei Jahre brauchen, bis er sie als Kuh melken kann. Und er schiebt einen großen Berg an Rauhfutter vor sich her, den er auch nicht so leicht anders verwerten kann als durch das Füttern von Kühen und durch Melken. Insbesondere Grünlandbetriebe haben auch kaum eine Alternative, denn nur Wiederkäuer wie Kühe sind in der Lange, Grünland zu nutzen und so Gras in Milch und Butter zu verwandeln. Und zu guter Letzt gibt es sehr viele Milchbauern, die zusätzliche Erlöse dadurch erzielen, in dem sie ihre Nachzucht z.B. über Viehauktionen verkaufen. Das geht aber nur dann, wenn man herdbuchmäßig züchtet und hinreichende Leistungen nachweisen kann. Ein Drosseln der Milchleistung pro Kuh scheidet für diese Betriebe völlig aus.
Und jetzt mal zum Vergleich die Schweinemast. Der Schweinemäster hat deutlich mehr Möglichkeiten auf den Markt zu reagieren:
Erste und radikalste Option: Er lässt den Stall einfach für eine Zeit leer stehen und verkauft eventuell sogar sein eigenes Getreide.
Zweite Option: Er knebelt und quält den Ferkelerzeuger: Die geringeren Erlöse in der Mast werden möglichst 1:1 auf den Sauenhalter umgelegt, d.h. der bekommt entsprechend weniger für seine Ferkel. Der in der Vergangenheit bevorzugte Weg in der Schweinemast, der auch dazu geführt hat, dass wir in Deutschland immer weniger Sauenhalter haben (und eben nicht die politischen Vorgaben, wie ja immer wieder gerne behauptet wird). Der Ferkelerzeuger ist in einer ähnlichen Zwangslage wie der Milchviehhalter, weil auch er kurzfristig kaum auf Marktschwankungen reagieren kann.
Dritte Option: Der Mäster versucht den Verkaufstermin für seine Schweine nach vorne oder hinten zu schieben, um einen besseren Preis zu bekommen. Zugegebenermaßen ist das schwierig, aber im Gegensatz zum unausweichlichen Lieferdruck bei Milch immerhin noch etwas steuerbar.
Und weil es so ist, dass Bauern im Schweinebereich besser steuern können und Angebot und Nachfrage tatsächlich miteinander korrespondieren, genau deshalb konnte ein gewisser Arthur Hanau auch 1927 eine vielbeachtete Dissertation schreiben. Bis heute hat noch niemand versucht, eine zweite Dissertation zu schreiben, die da den fulminanten Titel „Der Milchzyklus“ haben könnte. Das macht eben auch keinen Sinn, weil die Milchbäuerinnen und Milchbauern aus den oben beschriebenen Produktionszwängen kaum auf den Markt reagieren können.
Der Ackerbauer hat es mit Blick auf den Markt übrigens vielleicht am besten. Er investiert nicht in spezielle Ställe, die nur für eine Nutzung geeignet sind (also entweder Schweinemast oder Sauenhaltung oder Milchviehhaltung oder Hähnchenmast usw.) und bindet sich deshalb auch nicht über zwei Jahrzehnte relativ fest an einen ganz bestimmten Produktionszweig. Im Ackerbau kann man relativ einfach zwischen verschiedenen Kulturen wechseln und letztlich jährlich entscheiden, ob Rüben, Weizen, Mais oder Gerste angebaut werden.
Aber wie dem auch sein, äußerst erstaunlich sind jedenfalls die Kommentare, die man hierzu immer wieder auf topagrar findet. Wenn jetzt zum Beispiel besondere Hilfen für Milchviehhalter gefordert werden, dann finden sich garantiert welche, bei denen schon der Schaum aus den Mundwinkeln hervortritt:
Angesichts solcher Kommentare – die sich gerade unter Artikeln zur Milchpolitik immer wieder finden lassen – wird einem Angst und Bange angesichts des vollkommen fehlenden Verständnisses für die Lage von Berufskollegen. Das ist natürlich auch ein Ergebnis der einzelbetrieblichen Spezialisierung. Solidarität untereinander müsste jedenfalls anders aussehen, aber das hat man den Bäuerinnen und Bauern ja weitestgehend ausgetrieben und anscheinend glauben viele tatsächlich daran, ihr Heil auf den liberalisierten Agrarmärkten zu finden. Man muss Blödsinn halt nur oft genug wiederholen, dann finden sich schon Lämmer die hinter einem hertrotten…
Ps: Ja, mir ist natürlich auch klar, dass das Drehen an den allerkleinsten Stellschrauben auch noch passiert – also die sogenannte Produktionsoptimierung. Das ist allerdings eher ein permanenter Prozess, der nur bedingt eine Reaktion auf den Markt ist.