In Nordrhein-Westfalen wird das Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Tierseuchengesetz und zum Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetz novelliert. Hinter diesem Wortungetüm versteckt sich eine millionenschwere Subventionierung der intensiven Viehhaltung. Denn in diesem Gesetz wurde bisher geregelt, dass in NRW die Tierhalter nur etwa 10 Prozent der Kosten für die Tierkörperbeseitigung zahlen, die restlichen 90 Prozent zahlen die Kommunen. Selbst im Fall einer sogenannten Havarie, wenn beispielsweise durch einen Brand oder durch Versagen der Lüftungen ein kompletter Tierbestand getötet wurde, trägt bisher die Kommunen bislang den Großteil der Kosten.Die öffentliche Hand hat dadurch vor allem große Mastanlagen in den vergangenen Jahrzehnten mit jährlich hohen Millionen-Beträgen unterstützt. Besonders hoch sind die Kosten in Hochburgen der intensiven Viehhaltung: Die münsterländischen Kreise Borken (1,2 Mio. €), Steinfurt (1,05 Mio. €), Warendorf (0,8 Mio. €) und Coesfeld (0,6 Mio. €) wenden alleine ca. 3,7 Mio. € für die Beseitigung der sogenannten Falltiere aus der Landwirtschaft auf.
Damit übernehmen die Kreise in einem hohen Maße Kosten, die eigentlich von den Landwirten zu tragen wären. Für den einzelnen Betrieb kann dies ein ganz erheblicher Kostenvorteil sein. So verursacht ein durchschnittlicher 40.000er Hähnchenmaststall jährlich etwa 3.000 € bis 3.500 € an Kosten der Tierkörperbeseitigung.
Und auch in diesem Fall der ganz besonderen landwirtschaftlichen Subventionierung gilt das immer gleiche Prinzip der Agrarsubventionen: Je größer der Betrieb desto größer auch die Subventionen. Das heißt, während ein kleiner, bäuerlicher Betrieb jährlich beispielsweise Kosten in Höhe von ein paar hundert Euro verursacht, übernimmt die öffentliche Hand bei Großmästern enorme Kosten, die schnell mehrere Tausend Euro ausmachen können.
Dieser lineare Anstieg der Subventionen ist es auch, der über die letzten Jahrzehnte den kleinen und mittleren Betrieben das Leben schwer gemacht hat. Während die Großbetriebe die Kostenvorteile (billigerer Einkauf von Futter, höhere Produkterlöse) der Massenproduktion massiv nutzen und bei den Beiträgen zur Tierseuchenkasse oder zur Berufsgenossenschaft Vorteile für sich durchgesetzt haben, haben sie bei den Subventionen bislang jegliche Differenzierung zu verhindern gewusst. Dadurch erhöht sich ihr Produktionsvorteil, denn bezogen auf den einzelnen Bauern und seine Arbeitskraft betragen die Subventionen der Großbetriebe ein Vielfaches dessen, was kleine und mittlere Bauernhöfe erhalten.
In Nordrhein-Westfalen wird diese Logik jetzt unterbrochen. Die Kosten für die Beseitigung der Tierkadaver werden zukünftig insgesamt stärker den Bauern auferlegt, weil ihr Kostenanteil zukünftig von zehn auf 25 Prozent steigen soll. Vor allem aber sieht das neue Gesetz erstmals eine Kostendeckelung vor, die bei insgesamt 640 Euro pro Jahr und Betrieb liegt. Damit werden auch zukünftig alle Bauernhöfe bei der Beseitigung der Falltiere unterstützt, was vor dem Hintergrund der Seuchenproblematik auch richtig ist. Wahre Schweine- und Hähnchenfabriken, deren Beseitigungskosten weit über 640 € liegen, müssen also in Zukunft diese Kosten zu einem Großteil selbst tragen.
Auch mit Blick auf sogenannte Havarien ändert sich viel: Zukünftig müssen Landwirte im Fall eines Stallbrandes oder Ausfalls der Lüftungsanlage die enormen Kosten der Tierkörperbeseitigung selbst tragen. Dieses Produktionsrisiko kann von den Landwirten über eine Ertragsschadensversicherung abgesichert werden. Gleichzeitig ist zu hoffen, dass durch den Übergang dieser Kosten die Bereitschaft in der Landwirtschaft steigt, die Stallanlagen mit entsprechenden Brandschutztechniken auszustatten. Hier sind mittlerweile gute technische Lösungen (z.B. Hochdruck-Vernebelungsanlagen)möglich, die jedoch leider aus Kostengründen von der Landwirtschaft bislang kaum eingesetzt werden.
Vor dem Hintergrund knapper kommunaler Kassen ist dieser Gesetzentwurf ein wichtiger Schritt, die Kreise – und damit auch die Gemeinden – im ländlichen Raum zu entlasten. Zugleich sorgt das Gesetz dafür, dass der Staat neben den vielen anderen Subventionen nicht auch noch über die Tierkörperbeseitigungskosten der Massentierhaltung weiter Vorschub leistet. Insofern ist das Gesetz auch ein wichtiger Beitrag dazu, eine bäuerliche Landwirtschaft zu stabilisieren und zwischen den Betrieben eine Gerechtigkeitslücke zu schließen. Mit der Deckelung bei den Kosten der Tierkörperbeseitigung vollzieht Nordrhein-Westfalen damit das, wozu der Europäischen Ebene weitestgehend der Mut fehlte: nämlich die Agrarsubventionen gerechter zu gestalten.
Norwich Rüße, MdL
15.05.2014
Anhang:
– Kosten der Tierkörperbeseitigung, Kreise in NRW und Niedersachsen
– Liste von Havarien in Mastanlagen
Kosten der Tierkörperbeseitigung:
NRW |
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Kreis |
Kosten 2010 |
Haushaltsansatz 2014 |
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Zu entsorgende Kadaver (Gewicht) |
Hochsauerlandkreis | 185.430,00 € | 270.000,00 € | ||
Borken | 1.200.000,00 € | 1.100.000,00 € | 8.900 to. | |
Coesfeld | 584.000,00 € | 634.500,00 € | 4.600 to. | |
Gütersloh | 390.827,00 € | 470.000,00 € | ||
Höxter | 411.225,00 € | 445.500,00 € | 2.250 to. | |
Kleve | 735.409,00 € | 1.000.000,00 € | ||
Minden-Lübbecke | 414.884,00 € | n. bek. | ||
Paderborn | 453.000,00 € | n. bek. | ||
Soest | 431.000,00 € | 571.373,00 € | (2013) | |
Steinfurt | 1.045.000,00 € | 1.075.000,00 € | 8.000 to. | |
Warendorf | 807.409,00 € | 850.000,00 € | ||
Rhein-Sieg-Kreis | 390.000,00 € | 502.000,00 € |
Quelle: Erhebung MKULNV, VORLAGE 15/1050, Haushalte der Kreise
Niedersachen |
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Kreis/Stadt | Ansatz 2011 |
Hannover | 379.000,00 € |
Delmenhorst | 16.000,00 € |
Emden | 98.500,00 € |
Oldenburg | 100.600,00 € |
Wilhelmshaven | 105.000,00 € |
Wolfsburg | 21.700,00 € |
Aurich | 280.800,00 € |
Celle | 75.800,00 € |
Cuxhaven | 1.100.000,00 € |
Diepholz | 1.270.487,00 € |
Emsland | 1.370.000,00 € |
Bad Bentheim | 1.384.750,00 € |
Hameln | 54.500,00 € |
Helmstedt | 18.400,00 € |
Leer | 221.000,00 € |
Nienburg/Weser | 550.000,00 € |
Osnabrück | 662.500,00 € |
Vechta | 1.063.702,00 € |
Quelle: Haushaltspläne der jeweiligen Kreise
Fälle von Hitzetod/ Erstickung im Maststall ab 2010 (Auswahl)
Ort | Datum * | Verendete Tiere | Ursache |
Abtsbessingen (Thüringen) | Mai 2010 | 600 Schweine | Ausfall Lüftungsanlage nach Blitzeinschlag |
Kreis Uelzen (Nds) | 10. Juli 2010 | 40.000 Hühner | Ausfall Kühlanlage bei Hitzeperiode |
Lügde bei Detmold | 28. April 2011 | 410 Schweine | Ausfall Lüftungsanlage nach Blitzeinschlag (Stromausfall) |
Bad Mergentheim, Main-Tauber Kreis (BaWü) | Mai 2011 | 200 Ferkel | Ausfall Lüftungsanlage |
Sangerhausen, Kreis Mansfeld-Südharz (Sachsen-Anhalt) | Mai 2011 | 1.000 Schweine | Ausfall Lüftungsanlage, Mitarbeiter reagierte nicht auf SMS-Warnung |
Alkersleber (Thüringen) | 22. Juni 2011 | 3.021 Ferkel | Ausfall Lüftungsanlage nach Blitzeinschlag |
Haldensleben (Sachsen-Anhalt) | August 2011 | 117.000 Hühner | Stromausfall in Folge von Gewitter |
Belzheim (Augsburg) | Mai 2012 | 600 Schweine | Ausfall Lüftungsanlage |
Verden (Nds) | 20.08.2012 | Feuerwehr konnte noch rechtzeitig den Maststall mit Wasser kühlen. 20.000 Hühner betroffen (Hitzeperiode) | |
Elten, Kr. Kleve | 21.08.2012 | 6.000-8.000 Puten(Feuerwehr konnte weiter 12.000 Tiere retten) | Hitzeperiode, die Kühlanlage kam nicht mehr nach |
Maaseik (Belgien, nahe Deutscher Grenze) | 21.08.2012 | 5.000 Hühner | Hitzeperiode |
Kreis Cloppenburg (Nds) | Sommer 2012 | 38 landwirtschaft-liche Betriebe verzeichneten „erhöhte Verluste“ | Hitzeperiode |
Hessen | Sommer 2012 | 800 Masthähnchen | Hitzeperiode |
Cham (Bayern) | 05.08.2013 | 2.500 Hühner | Hitzeperiode |
Billerbeck | Juni 2013 | 1.000 Schweine | Ausfall Lüftungsanlage |
Vreden, Kreis Borken | Juli 2013 | 900 Schweine | Ausfall Lüftungsanlage (Hitzeperiode) |
Rosendahl, Kreis Coesfeld | August 2013 | 1.500 Hühner | Hitzeperiode |
Coesfeld | August 2013 | 2.000 Hühner | Hitzeperiode |
Coesfeld | August 2013 | 4.000 Hühner | Hitzeperiode |
* Das Datum bezieht sich teilweise auf den Tag der Veröffentlichung in der Zeitung. Der Vorfall kann entsprechend schon einige Tage früher geschehen sein.