Der CDU-Politiker, die Nazis und der Eintopf

Dieses Muster kennt man schon: Um in Diskussionen die eigene Position zu untermauern, vergleichen Politiker immer wieder aktuelle Geschehnisse mit dem „Dritten Reich“. Ein wenig verwundert das schon, denn alle diese Versuche enden in schöner Regelmäßigkeit mit der Erkenntnis, dass diese Vergleiche weder inhaltlich sinnvoll sind noch geschichtswissenschaftlich der Zeit 1933 bis 1945 gerecht werden. Im Gegenteil, immer wieder drohen solche Vergleiche die Brutalität und Menschenverachtung des Nazi-Regimes zu verharmlosen, weil deren politische Entscheidungen mit demokratisch getroffenen Entscheidungen unserer Zeit verglichen werden.

Nicht anders ist es jetzt bei dem Versuch des Münsteraner CDU-Politikers Josef Rickfelder, der den vom Stadtrat beschlossenen Veggie-Day mit dem „Eintopftag“ des Dritten Reichs verglichen hat. Nachdem dieser Vergleich öffentlich wurde und es Protest hagelte, machte Rickfelder einen Rückzieher. Laut eines Presseartikels (MZ, 16.01.13) bedauert  er nun seinen Vergleich, weil die Hintergründe der beiden Aktionstage „komplett unterschiedlich“ gewesen seien. So weit so gut. Allerdings sollte diese Erkenntnis eigentlich Allgemeingut sein, von daher hätte sich dieser Vergleich von vorneherein verboten und einem erfahrenen Politiker wie Rickfelder nicht passieren dürfen.

Schlecht ist allerdings, dass Herr Rickfelder die Intention des „Eintopftags“ anscheinend überhaupt nicht verstanden hat.  Seiner Meinung nach sei der Unterschied zwischen den beiden Aktionstagen dadurch begründet, dass der Veggie-Day „eher Ausdruck einer Überflussgesellschaft sei“, während der Eintopftag von den Nazis mit einer anderen Absicht verordnet worden wäre. Die Absicht der Machthaber sei es gewesen, mit dem monatlichen Eintopftag „ärmeren Bürgern durch Verzicht zu helfen.“

Diese Aussage belegt ein krudes Geschichtsverständnis des CDU-Politikers und zeigt, wie tief noch immer Klischees über das „Dritte Reich“ mitten in unserer Gesellschaft verankert sind.  Ob Autobahnbau oder Arbeitslosenzahlen, immer wieder findet sich jemand, der trotz des verheerenden Endes der Nazi-Herrschaft noch etwas positives an einzelnen Projekten findet. Auch wenn – wie bei den vorgenannten – die Entscheidungen vielleicht schon vorher getroffen wurden, oder aber in der Gesamtbewertung des „Dritten Reiches“ es sich eher um absolute Nebensächlichkeiten handelt, die zudem noch falsch bewertet werden.

Falsch bewertet – das ist auch im Fall Rickfelder das richtige Stichwort. Denn der Münsteraner Politiker scheint die wahren Hintergründe für den sogenannten Eintopftag nicht zu kennen. Den Nazis ging es mitnichten darum, ärmeren Bevölkerungsschichten zu helfen. Dass das „Dritte Reich“ zum Beispiel für Arbeiter eher zusätzliche Belastungen bedeutet hat, ist aus der tiefgreifenden Studie „Industriearbeit im ‚Dritten Reich'“ von Rüdiger Hachtmann zu entnehmen, der dort die Lohn- Arbeitsbedingungen zwischen 1933 und 1945 sehr genau analysiert und unter anderem nachgewiesen hat, dass die „freiwilligen“ Spenden zum Beispiel an das Winterhilfswerk oder die DAF für die Arbeiter in der Gesamtsumme erhebliche Belastungen bedeuteten.

Die wirkliche Intention des „Eintopftages“ war schließlich auch eine ganz andere: Es ging darum, die Bevölkerung mittelfristig auf einen neuen Krieg vorzubereiten. Ein Krieg, der von Beginn an im Kalkül des Nazi-Regimes stand. Welchen Beitrag konnte da ein „Eintopftag“ leisten? Er sollte die Bevölkerung – natürlich nur soweit sie natürlich „arische Volksgenossen“ waren – zu einer Gemeinschaft vereinen, in der angeblich vom Führer bis zum einfachen Arbeiter alle dasselbe – nämlich Eintopf – aßen.

Eine weitere Dimension war die Angst der Machthaber vor einem erneuten „Steckrübenwinter“, der bekanntermaßen im Ersten Weltkrieg die deutsche Bevölkerung demoralisiert und kriegsmüde gemacht hatte. Daher unternahm das Regime einige Anstrengungen, die Nahrungskonkurrenz zwischen Nutztieren und Menschen zu verringern. Zum Beispiel, in dem über den stark propagierten Zwischenfruchtanbau zusätzliche Futtermittel gewonnen und Flächen für die Brotgetreideerzeugung freigemacht werden sollten. Hier ist auch der Eintopftag einzuordnen, weil er den Verzicht auf Fleisch und eine einfache Ernährung propagierte und damit die Bevölkerung auch auf den Krieg vorbereitete.

Die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und die Angst vor einem erneuten Zusammenbruch der „Heimatfront“ war für die nationalsozialistischen Machthaber Grund genug, Landwirtschaft und Ernährung intensiv in die  Vorbereitungen des zweiten Weltkrieges einzubinden. Dass den Machthabern am Ende jedes Mittel recht war, dass eine einigermaßen gesicherte Ernährungslage im Deutschen Reich ermöglichte, zeigt die bekannte Aussage von Hermann Göring: „Wenn gehungert wird, dann hungert nicht ein Deutscher, sondern ein anderer!“ Welche dramatischen Folgen diese Einstellung hatte, mag vielleicht belegen, dass von 3,2 Mio. sowjetischen Kriegsgefangenen aus dem Angriff auf die Sowjetunion bis Anfang 1942 zwei Millionen vor allem wegen der vollkommen unzureichenden Ernährung starben.

Auch vor diesem Hintergrund verbietet sich jeglicher Rückgriff von Demokraten auf das „Dritte Reich“ um Projekte des politischen Konkurrenten zu diskreditieren. Die Absicht der Nationalsozialisten war von Beginn an, das Ergebnis der Niederlage des von Deutschland mitverschuldeten Ersten Weltkriegs  zu revidieren und zusätzlichen „Lebensraum“ im Osten auf Kosten der dort lebenden Menschen zu erobern. In diesem menschenverachtenden Konzept war der „Eintopftag“ ein klitzekleiner Baustein, nicht mehr und nicht weniger. Von den positiven Absichten eines Veggie-Days, der die Umweltbelastung durch freiwilligen Verzicht auf Fleischkonsum reduzieren will, ist der Eintopftag dagegen soweit entfernt, wie der Neptun von der Sonne!

Artikel kommentieren

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Mit der Nutzung dieses Formulars erklären Sie sich mit der Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch diese Website einverstanden. Weiteres entnehmen Sie bitte der Datenschutzerklärung.